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  • Klima & Ressourcen
  • 06/2024
  • Sandra Weiss

Andine Alpakas trotzen Bergbau und Klimawandel. Aber wie lange noch?

2024 hat die FAO zum Jahr der Kameltiere ausgerufen. Sie sichern armen Familien in unwirtlichen Weltgegenden das Überleben. Doch in Südamerika sind Alpakas und Bauernfamilien bedroht.

Alpakazüchter Abelino Sahuinco mit seinen Tieren in der kargen Hochebene der Anden in Peru. © Sandra Weiss

Es ist ein unwirtlicher Ort für eine Geburt: Auf 4.000 Metern Höhe ist die Luft dünn und klar wie Glas. Die Sonne wärmt nicht. Sie brennt. Und sobald sie untergeht, wird es klirrend kalt. Doch das kleine weiße Alpaka-Fohlen, das in dieser Nacht in den peruanischen Anden auf die Welt kommt, ist bereits mit einem dichten Wollmantel versehen. Es trinkt Muttermilch mit entschlossenem Zug und stakst noch unbeholfen auf langen Beinen durch den Korral, den Alpakazüchter Abelino Sahuinco aus Steinen gebaut hat – wie schon sein Vater und sein Grossvater vor ihm.

Er ist zufrieden: Das Fohlen ist gesund, auch der Mutter geht es gut. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Das Fohlen wird zusammen mit der Mutterherde noch einige Tage aus Sicherheitsgründen im Korral bleiben, bis es flink genug ist, um einem Puma zu entkommen. Danach wird die Herde freigelassen. Sie zieht mit ein paar Hütehunden und einem Schäfer auf Futtersuche über die kargen Hochebenen der Anden – unweit der Kleinstadt El Espinar. Bis es soweit ist, muss Sahuinco zufüttern und Wasser in den Korral schleppen. Es ist Knochenarbeit, aber Sahuinco beschwert sich nicht. Kameltiere sind in den Anden keine Folklore, sondern das Leben ist ohne sie schlicht unvorstellbar.

Kameltiere liefern Fleisch und Milch. Ihre Exkremente düngen Weiden und dienen als Brennstoff. Ihre zweipaarigen Hufe vertragen die empfindlichen Böden der andinen Hochmoore besser als die von Kühen. Sie sind damit umweltfreundlicher. Sie kommen mit relativ wenig Wasser aus und sind ideale Lastentiere. Ihre wärmende Wolle wird traditionell zum Weben von Umhängen und Decken genutzt. Viele der Muster gehen auf alte indigene Traditionen zurück. Schon den Incas waren die Anden-Kameltiere heilig. In der Inka-Ruinenstadt Choquequirao beispielsweise sind Vicuña-Silhouetten (siehe Kasten) in Terrassenmauern eingearbeitet.

Symbiose ist bedroht

Doch das idyllische Bild vom Alpaka-Baby mit seinem langen Wimpernkranz um die riesigen, schwarzen Augen trügt: Die Jahrhunderte währende Symbiose, die das Überleben von Mensch und Tier in einem eher unwirtlichen Ökosystem ermöglicht, ist bedroht. "Hier waren früher die Weiden meines Großvaters", sagt Sahuinco und deutet nachdenklich auf eine riesige Abraumhalde im Tal. Dort laden im Minutentakt LKWs Tonnen von Gestein ab. Es ist Abfall aus den umliegenden Kupferminen Tintaya und Antapaccay. Beide gehören dem Schweizer Bergbaukonzern Glencore.

Glencore betreibt in der Region Tagebergbau. In dieser Branche ist alles gigantisch – die Mengen, die Dimensionen, das Kapital. Komplette Berge werden abgetragen, um ihnen die mineralischen Schätze zu entreißen. Zuerst wird das Gestein gesprengt, dann Kupfer, Gold, Zink, Molybdän und seltene Erden herausgelöst – mit Millionen Litern Wasser und hochgiftigen Stoffen wie Zyanid. Der Abraum türmt sich an anderer Stelle, der giftige Schlick lagert in Rückhaltebecken. Die wertvollen Mineralien werden exportiert und in Europa verarbeitet.

Bergbau verändert Leben

Den Anwohnern brachte der Tagebergbau einen brutalen Bruch mit ihrem geruhsamen Leben. Detonationen durchbrechen nun die Stille. Schwerlaster transportieren Metallkonzentrat oder Treibstoff über die einzige Verbindungsstraße zwischen Anden und Küste. Über El Espinar liegt seither – einer Dunstglocke gleich – ein permanenter Staubmantel. In der Luft, im Wasser, im Boden und auch im Blut der Anwohner haben sich ärztlichen Untersuchungen zufolge Schwermetalle angereichert. Das Unternehmen und die Regionalpolitiker leugnen diese Folgen – zum Unmut der Bauern. "Meinen Alpakas fällt das Fell aus, viele Stuten haben Fehlgeburten oder bringen missgebildete Fohlen zur Welt", hat Sahuinco beobachtet.

Wer ist wer? Die Kameltiere der Anden

Für ihn ist das ein Drama, denn die Wolle seiner 100 Alpakas ist seine wichtigste Einnahmequelle. 20 Dollar bekommt er pro geschorenem Tier; einmal im Jahr ist eine Schur möglich. Peru ist Weltmarktführer beim Export von Wollprodukten aus Alpaka. Vier Millionen Alpakas sind in in dem Land registriert, das sind 87 Prozent des weltweiten Bestands. Fast 80 Prozent aller Alpakaprodukte weltweit kommen aus dem Andenland, 120.000 Familien leben von dem Wirtschaftszweig, der jährlich knapp eine Milliarde Dollar zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt.

Nachhaltiger Wirtschaftszweig

Der Vorteil der Alpakaindustrie: Sie ist arbeitsintensiv und in der Hand peruanischer Familienunternehmen. Der Mehrwert wird nicht – wie beim Bergbau – woanders erzielt, sondern direkt in Peru. Zudem ist der Wirtschaftszweig recht nachhaltig und kommt entlang der gesamten Lieferkette größtenteils ohne den Einsatz von Chemikalien aus. Selbst die Farbstoffe für Mode aus Wolle sind meist natürlicher Herkunft. Fast alles, was vom Tier stammt, wird verwertet. Am begehrtesten ist die feine Wolle am Rücken, bekannt als Baby-Alpaka. Weniger hochwertige Wolle, die vor allem von den Beinen stammt, wird zu Teppichen oder Taschen verarbeitet. Bei sorgfältigem Umgang hält Kleidung aus Alpaka ein Leben lang. Sie ist häufig auch ein Statement für Qualität – und gegen umweltschädliche Fast-Fashion.

Das Zentrum der Verarbeitung der Wolle liegt in Arequipa im Süden des Landes. Dort haben die beiden dominierenden Familienkonzerne, Michell und Incatops, zahlreiche Spinnereien sowie ein Alpaka-Museum und ein Alpaka-Forschungslabor eingerichtet. Die beiden Konglomerate sind inzwischen vertikal integrierte Unternehmen, die Wolle aufkaufen, spinnen und selbst Kleider entwerfen und vermarkten. Bei diesem Duopol bleibt der Großteil der Gewinne hängen. Sie verkaufen auch hochwertige Wollfäden an internationale  Luxusmarken wie Prada oder Max Mara und zunehmend auch nach China. In New York oder Paris kostet ein Alpaka-Wollrock vom Luxusdesigner gute 500 bis 800 Dollar.

Aber auch eine Reihe lokaler Modeschöpferïnnen haben in Arequipa, Cusco und der Haupstadt Lima inzwischen internationales Niveau erreicht. Marken wie Anntarah oder Escvdo haben schon Prominente wie Kate Perry eingekleidet. Auch wenn das Kleidungsstück kein Designerlabel trägt, ist der Endpreis im Verhältnis zu den Rohstoffkosten hoch: So geht ein Alpakapulli bei einem lokalen Modemacher für umgerechnet 100 Euro über den Ladentisch. Einige dieser Label haben enge Geschäftsbeziehungen zu ganz bestimmten Gemeinden, denen sie ihre Wolle zu einem höheren Preis abkaufen.

Während sie wissen, dass die Qualität des Endprodukts mit dem Rohmaterial steht und fällt, wird es für die Bauern im Hochland immer schwerer, ihre Herden zu halten. Nicht nur die Umweltverschmutzung aus dem klassischen Tagebergbau wird zur Bedrohung. Inzwischen kommen die Lithium-Minen hinzu. Internationale Konzerne fördern vor allem im Lithiumdreieck zwischen Bolivien, Argentinien und Chile das für die Elektromobilität und Smartphones so wichtige Mineral. Dafür wird Süßwasser benötigt – ein in den Hochanden extrem knappes Gut. Wegen der starken Sonneneinstrahlung verdunstet dort zwischen 7 und 20 Mal mehr Wasser als es regnet. „Zwischen 80 und 90 Prozent des Wassers der Hochanden befinden sich im Untergrund, und diese Becken sind miteinander verbunden wie Adern“, erklärt Patricia Marconi, Doktorin der Biowissenschaften und Präsidentin der argentinischen Yuchan-Stiftung. Diese unterirdischen Verbindungen bedeuten: Wenn man das Wasser an einer Stelle anzapft, sind die Folgen oft an anderer Stelle zu spüren.

So geschehen im Salzsee Hombre Muerto in Nordargentinien. Dort befindet sich die Anlage des US-Konzerns Livent, von der unter anderem der deutsche Autobauer BMW sein Lithium für Batterien in Elektroautos bezieht. Für die Herstellung von einer Tonne Lithiumkarbonat wird rund eine halbe Million Liter Salzsole verdunstet. Weitere 46.700 Liter Süßwasser sind für die Verarbeitung nötigt. Livent pumpt dafür Grundwasser ab. Vor einigen Jahren versickerte im Einzugsbereich der Fabrik der Trapiche Fluss, der eine wichtige Wasserquelle für die Herden von Bauernfamilien war.

Die Wolle der schlanken Vicunas ist die teuerste und begehrteste auf dem Markt. © Sandra Weiss

Herden leiden unter Lithium-Abbau und Klimawandel

Die Familie Condori, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Salar del Hombre Muerto lebt, beschwerte sich unlängst gegenüber der Journalistin Analia Llorente über die zunehmend schwierigen Bedingungen. Der Brunnen und die Feuchtwiese hinter ihrem Haus seien nach der Inbetriebnahme der Fabrik vertrocknet. Deshalb hätten sie die meisten Rinder und Alpakas verkaufen müssen. „Wir können nicht mehr vom Verkauf von Wolle und Fleisch leben“, sagt Nico Condori. “Die Firma sagt, das liegt am Klimawandel“, erzählt sie.

Doch das ist für die Wissenschaftlerin Marconi nur die halbe Wahrheit: „Lithiumbergbau verbraucht Wasserressourcen, die nicht erneuerbar sind, und verschäft damit die Folgen des Klimawandels noch.“

Selbst ohne Bergbau ist der Klimawandel an sich schon ein Riesenproblem für die Alpakazüchter. Laut einer Studie des Nationalen Instituts zur Erforschung von Gletschern und Berg-Ökosystemen hat die Andenkordillere in Peru in 50 Jahren die Hälfte ihrer Gletscher verloren. Verschwindet ein Gletscher, versickern in der Regel auch die Flüsse, die sich aus ihm speisen. Hinzu kommen Dürren und Temperaturschwankungen, mit denen selbst die Alpakas überfordert sind. Plötzliche Temperaturstürze von 20 Grad oder mehr verursachen gerade bei jungen oder geschwächten Tieren schnell Lungenentzündung. Geschoren werde die Alpakas nur einmal im Jahr, im Oktober. Dank der im Anschluss beginnenden Regenfälle können die Tiere aus dem frisch sprießenden Gras rasch wieder neue Energie schöpfen und neue Wolle produzieren. Regnet es jedoch nicht, verzichten viele Bauern auf die Schur, um ihre Tiere nicht zu gefährden – und verlieren Einkommen.

Der peruanische Staat ist sehr fragil, zentralisiert und überbürokratisiert. Deswegen versuchen die Bauernfamilien, sich selbst zu helfen. In Santa Fe im Süden von Peru etwa versuchen 60 Familien, sich mit Wiederaufforstung, Weiderotation und dem Bau von traditionellen Wasser-Rückhaltebecken für den Klimawandel zu wappnen.

Auch Sahuinco hat Unterstände gebaut und Silos zur Vorratshaltung für Futter. Doch manchmal reicht nicht einmal das. Als 2022 eine Jahrhundertdürre das südliche Hochland Perus heimsuchte, waren die Dorfbewohner von Santa Fe gezwungen, die Ventile der 14 Stauseen im Juli zu öffnen, drei Monate früher als üblich. Trotzdem war die Tragödie nicht aufzuhalten: Trächtige Alpakas erlitten Fehlgeburten, neugeborene Fohlen starben aus Mangel an Wasser und Nahrung. Alleine die Alpakazüchterin Gregoria Tacuri verlor 50 Tiere: „Sie wurden immer dünner, bis sie schließlich tot umfielen vor Hunger und Durst. Und ich konnte nichts tun außer weinen“, erzählt sie. Ihre Kinder haben angesichts solcher Dramen kein Interesse, die Familientradition fortzuführen. Sie sind in die Stadt abgewandert.

Gegen Klimastress ist Unterstützung vom Staat gefragt

Selbst den überlebenden Tieren ist der Klimastress anzumerken. „Bei Dürre oder Frost wächst das Fell nicht, oder nur unregelmäßig. Darunter leidet die Qualität“, sagt Daniel Arestegui Otazu vom Peruanischen Alpakaverband. „Wir müssen dringend großflächig Maßnahmen ergreifen und erfolgreiche Projekte multiplizieren“, fordert er. „Das können die Bauern oder der Verband nicht alleine stemmen. Dafür brauchen wir den Staat.“ Doch neben Notmaßnahmen bräuchte es Kritikern zufolge auch Fortbildung für die Bauern, Unterstützung für moderne Technologien, darunter künstliche Besamung zur genetischen Verbesserung der Herden, sowie fairere Preise für die Züchter.

"Wenn wir das Duopol von Incatops und Michell brechen wollen, müssen wir Züchter uns besser organisieren und unsere Produkte industrialisieren“, sagt Alpakazüchter Vicente Huaman Huanca. In Puno gibt es einen solchen Fortschritt. Dort errichtete der Staat eine Alpakafaser-Verarbeitungsanlage, die 2022 eingeweiht wurde. Sie ist ein Pilotprojekt mit einer Verarbeitungskapazität von 25.000 Kilogramm Wolle im Jahr. Doch das wurde bislang nicht erreicht, weil das Management der  Bauern Schwächen zeigte. Wenn sich die Rückschläge fortsetzen, so fürchtet Verbandschef Arestegui, werden die sehr viel effizienteren Alpakazüchter in Australien irgendwann dem Heimatland der andinen Kameltiere den Rang auf dem Weltmarkt ablaufen.  

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