Zur Hauptnavigation springen Zur Suche springen Zum Seiteninhalt springen Zum Footer springen

  • Wirtschaft & Menschenrechte
  • 06/2024
  • Raju Prasad Chapagai
Schwerpunkt

Recht auf Nahrung in Nepal: Ein Triumph der Regeln – mit Hindernissen

Die Gesetze zur Umsetzung in allen Facetten sind Meilensteine, doch sie wurden verzögert und führen nun ein isoliertes Schattendasein. Für die Praxis fehlen die Mittel.

Landarbeiter bei der Getreideernte im nepalesischen Distrikt Rautahat. © Opladen/Welthungerhilfe

In Nepals Verfassung sind das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität als Grundrechte verankert. Alle Regierungsebenen sind dazu verpflichtet, das Recht auf Nahrung zu achten, zu schützen und zu erfüllen. Doch trotz bedeutender gesetzlicher Fortschritte stößt die Umsetzung immer noch auf enorme Hindernisse.

Nepal hat einen jahrzehntelangen bewaffneten Konflikt der Maoisten (1996-2006) hinter sich, ein Zeitraum, der den Weg zur Demokratisierung und Friedenskonsolidierung geprägt hat. Das Land erkannte extreme Armut, tief verwurzelte Ausgrenzung, Diskriminierung und die Verweigerung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte als Grundursachen des Konflikts an und machte sich auf den Weg der Transformation. Das umfassende Friedensabkommen von 2006 markierte das Ende des Konflikts, gefolgt von der nepalesischen Interimsverfassung von 2007, die den Grundstein für eine neue Verfassung im Jahr 2015 legte. Diese enthält ein starkes Bekenntnis zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, einschließlich des Rechts auf Nahrung und Ernährungssouveränität, mit dem Ziel eines nachhaltigen Friedens und gerechten Wohlstands.

In der nepalesischen Verfassung sind zwar das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität als Grundrechte im Einklang mit internationalen Standards verankert, doch in der Realität gilt diese Garantie für viele Nepalesen noch immer nicht. Daten über den Lebensstandard in den Jahren 2022-23 weisen auf eine weit verbreitete Ernährungsunsicherheit hin. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist in unterschiedlichem Maße von Ernährungsunsicherheit betroffen und nur 48,2 Prozent der Haushalte gelten als ernährungssicher. Hohe Raten von Unterernährung, von der 36 Prozent der Kinder unter fünf Jahren betroffen sind, sowie 27 Prozent Untergewichtige und 10 Prozent, die eine zu geringe Körpergröße im Vergleich zu Gleichaltrigen haben, verschärfen dieses Problem. Außerdem ist fast jede zweite schwangere Frau anämisch.

Die tief verwurzelte Armut verschlimmert die Situation noch: Rund 20 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Randgruppen wie die Dalit-Gemeinschaft sind unverhältnismäßig stark betroffen. Diese Herausforderungen zu bewältigen und das Recht auf Nahrung für alle Nepalesen zu verwirklichen, bleibt eine wichtige nationale Aufgabe.

Normativer Triumph und bahnbrechende Gesetzgebung

Die Verfassung von Nepal aus dem Jahr 2015 ist zweifellos ein 'Leuchtturm des normativen Fortschritts', da sie Grundrechte wie das Recht auf Nahrung, den Schutz vor Hunger und die Ernährungssouveränität in Artikel 36 garantiert. Außerdem gewährleistet die Verfassung eine Reihe weiterer Grundrechte, wie das Recht auf ein menschenwürdiges Leben (Artikel 16), auf Wohnraum (Artikel 37), auf Beschäftigung (Artikel 33), auf Gleichheit (Artikel 18), auf soziale Gerechtigkeit (Artikel 42) und auf Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen (Artikel 35).

Nahrhafte Mahlzeit: 36 Prozent der Kinder unter fünf Jahren in Nepal sind unterernährt. © Opladen/Welthungerhilfe

Im Rahmen des Verfassungsauftrags hat Nepal 2018 das Gesetz über das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität verabschiedet. Dieses richtungsweisende Gesetz befasst sich nicht nur mit der Ernährungssicherheit, sondern bezieht auch die Ernährungssouveränität in den Geltungsbereich des Menschenrechts auf Nahrung ein. Das Gesetz verpflichtet alle Regierungsebenen, das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität zu achten, zu schützen und zu verwirklichen. Es zielt darauf ab, den Zugang zu Nahrung ohne Diskriminierung zu gewährleisten und garantiert den Schutz von Einzelpersonen und Familien vor Hunger und Ernährungsunsicherheit.

Verpflichtungen des Staates

Der Staat ist verpflichtet, ernährungsunsichere Haushalte zu erfassen, sie nach ihren Bedürfnissen zu kategorisieren und entsprechend kostenlose oder subventionierte Nahrungsmittelhilfe zu leisten. Darüber hinaus sieht das Gesetz vor, Bauern bei der Lebensmittelproduktion und -verteilung zu fördern und ihnen die notwendige Unterstützung und den Schutz zu bieten, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Das Gesetz regelt außerdem, dass vorsätzliches Vorenthalten von Nahrungsmitteln, die Behinderung der Nahrungsmittelversorgung und die gewaltsame Vertreibung von Bauern unter Strafe gestellt werden, wenn diese dadurch ihre Existenzgrundlage verlieren. Darüber hinaus schreibt das Gesetz vor, nationale und regionale Ernährungsräte und lokale Ernährungsausschüsse zu schaffen sowie einen umfassenden nationalen Ernährungsplan sowie Ernährungssicherungsprogramme auf allen Verwaltungsebenen zu entwickeln.

Diesen gesetzgeberischen Meilenstein ergänzen mehrere andere Regelungen: das Gesetz zum Recht auf Wohnen, das Beschäftigungsgesetz, das Gesetz zur sozialen Sicherheit sowie Änderungen von Landgesetzen, die zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung beitragen. So verpflichtet die 8. Änderung des Landgesetzes von 1964 die Regierung dazu, landlose Haushalte zu erfassen und ihnen Zugang zu Land mit sicheren Besitzverhältnissen zu verschaffen. Das Wohnungsgesetz von 2018 wiederum verbietet Zwangsräumungen aus Siedlungsgebieten ohne eine ordnungsgemäße Überprüfung, und bietet auch Alternativen, um Obdachlosigkeit zu vermeiden.

Dieser normative Triumph war kein Zufall, sondern das Ergebnis gemeinsamer Anstrengungen verschiedener Akteure. Öffentliche Konsultationen, Lobbykampagnen und die aktive Mitwirkung zivilgesellschaftlicher Organisationen haben zusammen mit Nepals Engagement für internationale Menschenrechtsverträge Fortschritte vorangetrieben. Die Zusammenarbeit der Regierung mit UN-Organisationen, einschließlich der Welternährungsorganisation (FAO) und des Welternährungsprogramms (WFP), war ebenfalls entscheidend: für die Überprüfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und die Ausarbeitung des Gesetzes über das Recht auf Nahrung und die Ernährungssouveränität, sowie für die Einleitung eines Dialogs über die Umgestaltung der Ernährungssysteme.

Nicht zuletzt spielte der Oberste Gerichtshof Nepals eine entscheidende Rolle. Er erkannte die Pflicht des Staates an, Hunger zu verhindern, und legte den Grundstein für das Recht auf Nahrung. In der Rechtssache Prakash Mani Sharma u.a. für ProPublic gegen die Regierung von Nepal, den Premierminister und den Ministerrat aus dem Jahr 2010 entschied der Oberste Gerichtshof beispielsweise, dass jeder Bürger ein Grundrecht auf ein Leben in Würde hat. Er betonte, dass der Staat für jeden Todesfall, der durch Mangel an angemessener Nahrung verursacht wird, zur Rechenschaft gezogen werden kann, da das Recht auf ein Leben in Würde und das Recht auf Ernährungssouveränität in der Interimsverfassung von Nepal von 2007 als Grundrechte garantiert sind. Der Oberste Gerichtshof hat die Regierung außerdem verpflichtet, in Not geratene Menschen zu ernähren und unterzubringen, Ackerland zu schützen und Landwirte zu entschädigen, die ihre Ernten durch Wildtiere verloren haben.

Wesentliche Regelungen werden verzögert

Trotz beachtlicher Fortschritte bei der Schaffung eines rechtlichen Rahmens steht die Umsetzung des Gesetzes über das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität in Nepal vor erheblichen Hürden. Besonders problematisch ist die lange Verzögerung von wesentlichen Vorschriften, die für die Umsetzung des Gesetzes wichtig sind. So hat die nepalesische Regierung fast fünf Jahre gebraucht, um die betreffende Verordnung auszuarbeiten. Wichtige Bestimmungen wie die Erfassung ernährungsunsicherer Haushalte und die Ausarbeitung eines nationalen Ernährungsplans wurden so lange verhindert.

Zudem herrscht unter Bürokraten und Politikern von der lokalen bis zur zentralen Ebene weit verbreitet ein Irrglaube darüber, was ökonomisch finanziert werden muss, um wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, einschließlich des Rechts auf Nahrung, auch umzusetzen. Diese Haltung verhindert, dass den Rechten in der Wirtschaftspolitik und bei der Zuweisung von Haushaltsmitteln Vorrang eingeräumt wird. Der Mangel an Kontrolle durch nationale Menschenrechtsinstitutionen und Parlamentsausschüsse sowie die unzureichende Koordination zwischen Bundes-, Provinz- und Lokalregierungen, haben die Umsetzung zusätzlich erschwert.

Die mangelnde Koordinierung oder manchmal auch ein unfairer Wettbewerb und Konflikte zwischen der lokalen und der föderalen Ebene haben auch zu Verstößen gegen das Recht auf Nahrung geführt. In mancher Hinsicht scheint es vor diesem Hintergrund sogar einen Rückschritt zu geben. Wiederholte Fälle von Zwangsräumungen landloser Siedler und die Vertreibung von Straßenhändlern ohne ein Angebot angemessener Alternativen haben Tausende einkommensschwacher Familien in Kathmandu und anderen Städten in eine existenzielle Notlage gebracht.

Dass ein rechtebasierter Ansatz sowohl auf nationaler wie auf internationaler Ebene inzwischen eher geschwächt als gestärkt dasteht, erschwert die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung in Nepal zusätzlich. Auch das politische Engagement für diese Rechte hat während der Umsetzungsphase der Verfassung nachgelassen, was die Probleme verschärft. Überdies gibt es immer noch keine offiziell anerkannten Indikatoren, um die fortschreitende Umsetzung der verfassungsmäßigen und gesetzlichen Garantien zu überwachen.

Früchte eines Nutzgartens in Nepal. Der Staat ist verpflichtet, ernährungsunsichere Haushalte zu erfassen und Hilfe zu leisten. © Opladen/Welthungerhilfe

Auch für die Aufklärung von marginalisierten und benachteiligten Gemeinschaften über die rechtlichen Garantien wurde nur wenig getan. Menschenrechtsgruppen und die Zivilgesellschaft legen traditionell eher den Schwerpunkt auf politische und Bürgerrechte –Fragen im Zusammenhang mit dem Recht auf Nahrung führen ein Dasein am Rand. Deswegen muss das Recht auf Nahrung und das Gesetz zur Ernährungssouveränität noch mit anderen bereits bestehenden sektoralen Gesetzen zu natürlichen Ressourcen harmonisiert werden. Das würde indigenen und lokalen Gemeinschaften einen besseren Zugang zu natürlichen Ressourcen ermöglichen.

Herausforderungen dringend überwinden

Es besteht dringender Handlungsbedarf, diese Hindernisse zu überwinden. In erster Linie muss die nepalesische Regierung unverzüglich die notwendigen Regularien, Verfahren und Pläne sowie institutionelle Mechanismen schaffen und umsetzen, um die in der Verfassung verankerten Versprechen zu erfüllen. Eine innovative Wirtschaftspolitik in Einklang mit den verfassungsmäßigen und gesetzlichen Verpflichtungen ist zudem unverzichtbar.

Wenn verschiedene Akteuren stärker zusammenarbeiten und die Inhabenden von Rechten und Pflichten auf allen Ebenen stärker sensibilisiert werden, kann das für die Einhaltung des Gesetzes durch die Regierung förderlich sein. Entscheidend ist, Menschenrechtsprinzipien in die Politik und die Programme der Regierung einzubetten und eine nachträgliche Kontrolle durch parlamentarische Ausschüsse und eine proaktive Überwachung durch nationale Menschenrechtsorganisationen sicherzustellen.

Projekt für Gemüseanbau mit Bewässerung für 85 Haushalte: Ein Dorfbewohner von Dhusini erntet einen Rettich. © Schatzschneider/Welthungerhilfe

Zivilgesellschaftliche Gruppen müssen strategische Streitigkeiten bei der Gesetzgebung und Lobbyarbeit nutzen, um von den Behörden Rechenschaft einzufordern. Wenn Nepal diese drängenden Herausforderungen annimmt und das Recht auf Nahrung wirksam und verlässlich umsetzt, kann es den Zugang zu Nahrung für alle Nepalesen gewährleisten.

Lehren aus dem Beispiel Nepal

Der robuste verfassungsrechtliche und gesetzliche Rahmen Nepals für das Recht auf Nahrung und Ernährungssouveränität ist lobenswert. Dies kann anderen Ländern als Vorbild dienen. Auch andere Erfahrungen bieten wertvolle Erkenntnisse: Gesetzliche Garantien sind unabdingbar, parallel dazu aber müssen eine Vielzahl von Interessengruppen sensibilisiert werden, einschließlich der Nutznießenden, zudem müssen notwendige Infrastrukturen geschaffen werden.

Außerdem sollte die Wirtschaftspolitik so aufgestellt werden, dass sie den gesetzlichen Garantien entsprechen kann. Dies setzt jedoch eine gründliche sozioökonomische Folgenabschätzung des Gesetzes voraus. Die kontrollierende Rolle der Justiz und nationaler Menschenrechtsorganisationen gegenüber der Regierung zu stärken, ist für eine wirksame Umsetzung ebenso unerlässlich.

Raju Prasad Chapagai Verfassungs- und Menschenrechtsanwalt, Kathmandu, Nepal

Das könnte Sie auch interessieren